Handschrift. Durch die Analyse des Kodex und dessen detaillierte Untersuchung anlässlich seiner Restaurierung kann festgestellt werden, dass die erhaltene Handschrift gegen Ende des 18. Jahrhunderts, exakter zwischen 1771 und 1800, entstanden sein muss. Sie wurde in einem einzigen (vielleicht auch längeren) Schreibprozess von der Ersten oder der Haupthand gefertigt, die ihre Einträge in das bereits gebundene Buch der Handschrift, das aus 110 Blatt handgeschöpftem Papier der Papiermühle in St. Ruprecht bei Klagenfurt bestand, tätigte und dieses paginierte. Die Handschrift wurde nur einmal, und zwar während ihrer Entstehung, gebunden, die Deckblätter sind mit demselben Papier, aus dem der Buchblock besteht, überzogen. Aus dem bereits gebundenen Buchblock wurden hierauf 39 Blätter (35 %) herausgenommen. Der Text des Passionsspiels ist auf den restlichen 71 Blatt erhalten. Vier davon wurden der Handschrift in der Mitte des 19. Jahrhunderts hinzugefügt, als ein unbekannter Schreiber, die sogenannte Dritte Hand, die Texte von vier verlorengegangenen Blättern durch höchstwahrscheinlich identische Texte ersetzte. Diese und andere Textergänzungen der Dritten Hand weisen auf das offensichtliche Bestreben dieser Person hin, die Handschrift in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wahrscheinlich im Jahre 1860, zu erhalten und zu erneuern.
Schreiber und Schreibung. Der mit der Ersten Hand identische Hauptverfasser der Handschrift muss jedenfalls ein Geistlicher gewesen sein, die Mitwirkung eines sogenannten Bukovnik, eines Autodidakten aus der ländlichen Bevölkerung also, kann ausgeschlossen werden. Dies ist aus dem starken Einfluss der barocken Schreibkultur, sowohl der lateinischen in den slowenischen Texten, als auch der deutschen in den deutschen Textpassgen ersichtlich. Die Erste Hand verwendet auch geschickt barocke Abkürzungen wie Breviographe und Kontraktionen. Von den insgesamt 337 Abkürzungen entfallen 192 auf deutsche Abbreviaturen (2ter u.Ähnl.), 145 auf lateinische, die sowohl im slowenischen und deutschen Textteil zu finden sind (Xſtus, Xſti u.Ähnl.).
Text. Der Text des Eisenkappler Passionsspiels umfasst drei Vorstellungen: am Gründonnerstag vormittags vom letzten Abendmahl bis zum Urteil des Pilatus, am Gründonnerstag abends von den einleitenden Szenen zum Kerker des Pilatus bis zur Szene, in der Jesu Leichnam in den Schoß Mariens gelegt wird, und dem Auferstehungsteil am Ostermontag, mit dem abschließenden Mysterienspiel von der Seelenwaage. Der gesamte Dialogtext und einige Regieanweisungen sind in slowenischer Sprache mit einem starken Einfluss der Kärntner Dialekte, der überwiegende Teil der Regieanweisungen in deutscher Sprache verfasst. Die Dialogtexte waren ursprünglich in gereimten Verspaaren verfasst, doch wurden sie später (vielleicht auch mehrmals) überarbeitet und in Prosa umgeschrieben, wobei allerdings zahlreicher Verse beschädigt wurden. In der kritischen Edition wurde der Text im gemäß der ursprünglichen Versform rekonstruiert. Der Text des Passionsspiels besteht aus 167 Regieanweisungen und 502 Dialogbeiträgen, die wiederum in 123 Prosaabsätze (in der ersten Vorstellung vorwiegend Zitate aus den Perikopen der Evangelija inu listovi) und 2.758 Verse zerfallen.
Überarbeitung während des Abschreibprozesses. Während der Hauptschreiber, d.h. die Erste Hand, den Text zwischen 1771 und 1800 aus älteren handschriftlichen Vorlagen abschrieb, griff er auch stark redigierend in den Text ein. Die Redaktion wurde mit drei Verfahren vorgenommen.
Die zahlreichen Texteingriffe weisen darauf hin, dass die Textüberlieferung, die der Schreiber von Eisenkappel vor sich hatte, umfassender und reicher gewesen sein muß, und dass diese in die erhaltene Handschrift nur als gekürzte, kondensierte Fassung übertragen wurde. Bezüglich des Schreibprozesses kann deshalb die Hypothese aufgestellt werden, dass sich der Schreiber zunächst ein Heft mit 110 Blättern zurechtgelegt hatte, weil er einen solchen Umfang aufgrund der älteren Handschrift(en), die ihm als Vorlage diente(n), annahm. Während des Schreibprozesses wurde die Vorlage überarbeitet und gekürzt, weshalb schlussendlich ein Drittel der Blätter unbeschrieben blieb. Sie wurden später herausgeschnitten und anderweitig verwendet.
Die Dichte der Regieanweisungen ist im Vergleich zu den Dialogpassagen in der ersten Vorstellung am höchsten, da hier die meisten Eingriffe erfolgten: die längeren Verspassagen wurden durch 122 Zitate aus den Evangelien ersetzt. Deshalb sind in der ersten Vorstellung die Figurendialoge auch am kürzesten (durchschnittlich 263 Zeichen), in der dritten Vorstellung am längsten (368 Zeichen). In der u.a. Tabelle sind die empirischen Daten zum Text zu finden, aus denen Rückschlüsse im Bezug auf die Dichte und der Frequenz der Eingriffe in den ursprünglichen Barocktextes zu ziehen sind:
Vorstellung | Zahl der Zeichen | Zahl der Dialogpartien | Zahl der Regieanweisungen | Quotient Dialogpartie vs. Regieanweisung | Durchschnittliche Zeichenzahl pro Dialogpassage | Zahl der Verse in den Dialogpassagen | Durchschnittliche Zahl der Verse pro Dialogpassage | Zahl der Absätze in den Dialogpassagen |
Erste | 53.116 | 201 | 76 | 0,37 | 263 | 632 | 3,1 | 122 |
Zweite | 53.047 | 167 | 48 | 0,28 | 318 | 1.118 | 6,7 | 1 |
Dritte | 46.361 | 126 | 40 | 0,31 | 368 | 903 | 7,2 | 0 |
Nachträge | 3.978 | 8 | 3 | 0,37 | 497 | 105 | 13,1 | 0 |
Gesamt | 156.653 | 502 | 167 | 0,33 | 311 | 2.758 | 123 |
Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass der Passionsspieltext vom Eisenkappler Schreiber nicht nur gekürzt und reduziert, wie man aufgrund des Textes der ersten Vorstellung schließen könnte, sondern dass der alte barocke Text unter den gegebenen Umständen auch erhalten und in die Handschrift integriert wurde. Darauf verweist insbesondere Lage 6 (im zweiten Teil des Passionsspiels), die von ihm während seiner Schreibtätigkeit mit der Absicht aufgebrochen und neu geordnet wurde, um das Mysterium vom reumütigen Sünder in die Handschrift aufzunehmen. Die Szene, in der der Sünder Maria mit dem Leichnam Christi auf dem Schoß um Gnade und Erlösung von seinen Sünden bittet, ist ohne Zweifel einer der wertvollen Höhepunkte der barocken Literatur in slowenischer Sprache, die der Geschichte der slowenischen Literatur nur deshalb erhalten werden konnte, weil sie vom Eisenkappler Schreiber eigens hinzugefügt und an die Handschrift genäht wurde.
Die Mysteriumsszene von Maria und dem reumütigen Sünder wird also offensichtlich von einer anderen Tendenz geprägt als die Gestaltung der Ersten Vorstellung. Dies legt den Gedanken nahe, dass das Verfassen der Handschrift nicht nur von der Anpassung an den Josephinismus bestimmt, sondern als trotzige Revitalisierung und Restaurierung wenigstens einiger ausgewählter Elemente des 17. Jahrhunderts konzipiert wurde.
Spuren der verlorenen Überlieferung. Einige Spuren in der Handschrift zeugen nicht nur davon, dass vom Schreiber ein älterer und umfangreicherer Text adaptiert und gekürzt wurde, sondern weisen auch explizit darauf hin, dass er über mehr als eine Vorlage, also zumindest über zwei Versionen des Spieltextes verfügt haben muss. Dies ist vor allem an der Stelle ersichtlich, an der nach der Würfelszene der Soldaten die Regieanweisung folgt, dass Jesus aufs Kreuz steigt. Dies steht offensichtlich im Widerspruch zur vorangegangenen Handlung, aufgrund welcher Christus bereits auf dem Kreuz gehangen sein muss, was auf eine dramaturgische Naht zwischen zwei Textversionen hinweist. Ähnliches können wir auch aus den unterschiedlichen Namen der vier Häscher, die Christus geißeln und kreuzigen, schließen. Die Namen Erster bis Vierter Jude stammen aus einer Vorlage, die Namen Robinus, Malhus, Stahus und vielleicht auch jener des Fähnrichs aus einer anderen. Leider sind diese älteren Versionen, der Vorgängertext des Eisenkappler Passionsspiels also, verloren, doch konnte nachgewiesen werden, dass sie einst bestanden haben müssen.
Aufführungen. Zur Aufführungsgeschichte des Eisenkappler Passionsspiels verfügen wir über fast keine Angaben, außer jene von Stefan Singer, bei welchem es heißt: „Die Bühne stand beim vulgo Dunej im Unterort, wo noch am Ende des XIX. Jahrhundertes die Kulissenteile vorhanden waren“ (Singer 1938: 255). Am Stirnumschlag der Handschrift wurde bei den Restaurierungsarbeiten ein Aufkleber mit einer längeren, jedoch schwer beschädigten Aufschrift entdeckt, bei der mit Sicherheit lediglich die Wörter „die Vorstellung … Herrn und Gottes Jesu … Christi (Vor)getragen worden … (Ja)h(r) 1800“ zu entziffern waren. Das Eisenkappler Passionsspiel wurde also offensichtlich in diesem Jahr (noch) aufgeführt.
Hypothese zum Alter des Eisenkappler Passionsspiels. Bezüglich des Alters der Vorlagen, von denen das Eisenkappler Passionsspiel abgeschrieben wurde, scheint bedeutsam, dass sie sowohl durch die Bezeichnung Komedia (in der romanischen, vor allem spanischen Bedeutung dieses Begriffes), im ursprünglichen Titel als auch durch seine Zusammensetzung aus drei Vorstellungen (die für die spanische Komödie und die französischen Passionsspiele charakteristisch war) mit der spätmittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Überlieferung der Dramatik und der Passionsspiele vor allem der romanischen Welt verbunden ist. Die slowenische Übersetzung des Hymnus Stabat mater dolorosa in der Handschrift stimmt in mehreren Zügen eher mit der slowenischen Textüberlieferung des 17., als mit jener des 18. Jahrhunderts überein. Der Reichtum der Versstruktur, die in der kritischen Edition von Erich Prunč in dieser Ausgabe wieder gehoben wurde, spricht von einer hohen literarischen Kultur des Umfeldes, in welchem die Textgrundlage entstehen musste. Dies beweisen auch die schönsten Dialoge und Szenen des Passionsspiels, zum Beispiel das Mysterium vom reumütigen Sünder. Es stimmt aber auch mit dem Nachweis von Erich Prunč überein, dass die Textbasis des Eisenkappler Passionsspiels der slowenischen Jesuitendramatik des 17. Jahrhunderts verpflichtet ist. Der Text des 17. Jahrhunderts wurde unter dem aufklärerischen Druck und in Anbetracht der josephinistischen Verbote überarbeitet – sei es nun um das Jahr 1765, als vom Klagenfurter Kreisamt ein Passionsspielverbot erlassen wurde, sei es nach Eingliederung der Pfarre Eisenkappel in das Bistum Lavant, wo ein solches Verbot 1770 vom Bischof erlassen wurde. Die Abschrift des Textes in die erhaltene Handschrift am Ende des 18. Jahrhunderts und die Aufführung des überarbeiteten Passionsspiels (noch) im Jahre 1800 beweisen die Revitalisierung des überarbeiteten Passionsspiels, die etwa bis zum Jahre 1802 dauern konnte, in dem ein neuerliches Verbot des Kreisamtes wohl die endgültige aufklärerische Vernichtung der barocken Tradition bedeutet.
Die slowenischsprachige Jesuitendramatik des 17. Jahrhunderts wurde leider vernichtet und gilt als verloren. Ein Teil dieser Texttradition, die wahrscheinlich auf einer älteren slowenischen mündlichen Überlieferung fußte, wurde in Eisenkappel am Ende des 18. Jahrhunderts noch aufgezeichnet und in der erhaltenen Handschrift festgehalten. Dass bei dieser Fixierung einer langen Tradition eine große Breite der Textvariation auftrat, ist ein wohlbekannter Sachverhalt der Textkritik und Ekdotik. In dieser Edition wurde nach Kräften versucht, sie aufzuzeigen und zu erklären. Ohne Zweifel aber beinhaltet der Text des Eisenkappler Passionsspiels noch einen formalen und inhaltlichen Reichtum, der eine neue und gründliche Erklärung fordert – unter anderem der Verflechtung mit dem weiteren Texthintergrund der mittelalterlichen Literatur.